Nach schweisstreibenden Vorbereitungen in 40 Grad Hitze am Hafen von Portimao waren wir mehr als bereit, uns in gemässigtere Temperaturen - zur kleineren Insel von Madeira, Porto Santo - aufzumachen. Ab Mittwoch, 27. Juli zeigte sich ein günstiges Wetterfenster: Gute Windverhältnisse, nie wenig für die nächsten Tage, aber auch nie zuviel, so dass wir gut vorankommen würden. Dreieinhalb Tage auf hoher See, wie würde sich das anfühlen? Wir packten bis am späten Abend an, bereiteten vor und hatten so auch keine Zeit, nervös zu werden. Um 5:00 morgens legten wir ab, die Morgenstimmung war wiederum bestechend, die Wellen noch zart; das Meer zeigte sich von seiner sanften Seite. Noch. Dann ging es los, die Wellen wurden grösser und kräftiger, der Wind rauschte, kein Schritt war mehr möglich, ohne wieder an die Wand gepresst zu werden, keine Trinkflasche konnte abgelegt werden, ohne dass sie nicht davon rollen würde. Und zur Toilette wollte zuerst einmal niemand mehr. Nur Aurel, geboren mit Seebeinen, tänzelte auf dem Schiff herum, als ob er das schon immer so gemacht hätte. Die Nacht brach herein, die Buben legten sich in die schwankenden Betten und wir begannen mit der Nachtwache. Es blieb stürmischer als gedacht, Wellen spritzten uns nass und salziges Meerwasser lief in den Nacken und in die Ärmel. Die Windsteueranlage wollte nicht recht und riss bei jeder höheren Welle wieder aus. Und davon gab es viele. Hätte mich jemand in dieser ersten Nacht der Überfahrt gefragt, ob ich auf einem Segelschiff weiterreisen möchte, wäre die Antwort klar gewesen: Nein. Ich hätte es nicht nur gesagt, sondern geschrien, doppelt unterstrichen und mit dreifachen Ausrufezeichen versehen. Irgendwann war mir im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen.
Nach jeder Nacht folgt bekanntlich auch wieder ein Tag, unserer begann wiederum schaukelnd. Gegen Nachmittag wurden die Wellen wieder gemässigter, als ob sie uns die Laune nicht verderben wollten. Wir begegneten Delfinen, diesmal Tümmlern, die uns mit ihrer Länge mächtig beeindruckten. Aurel tauschte das widerspenstige Teil an der Windsteueranlage aus, damit wir nicht mehr am Steuer stehen mussten. Die Situation entspannte sich und mit ihr wuchsen nach und nach auch die Seebeine. Handgriffe wurden gewohnter, die Sicht über die Weite des Meeres beglückender und wir begannen, uns in unserem Cocon wohler zu fühlen. Zwar abgeschnitten von der Welt, aber immer wissend, wo wir uns befanden, war die Tatsache unserer momentanen Unerreichbarkeit für niemanden von uns beängstigend. Im Gegenteil, Lio, Janosch und Nico waren über die Tage meistens fröhlich, beschäftigten sich mit Spielen, ich las vor, wir sangen Lieder an Deck und bekamen sogar Besuch von einem hübschen Vogel, der sich bei uns eine Pause gönnte. Die Nächte blieben zwar streng, der Schlaf gering, aber mit weniger Wellengang und der funktionierenden Windsteueranlage gewannen sie an Faszination: Noch nie habe ich die Milchstrasse so klar am Himmel gesehen und die Bioluminiszenz oder Biofluoreszenz - selbst- oder mit Symbionten leuchtenden Lebewesen im Meer - zauberten prachtvolle neongrüne Lichtspiele in die Wasseroberfläche. Ab und an sah es aus, als ob Rocinante nicht durch Meerwasser, sondern ein Meer von Sternen fahren würde.
Am dritten Tag schliesslich: Land in Siiiicht! Die letzten Stunden zogen sich dahin, die steil aus dem Meer ragende Insel wollte und wollte nicht näherrücken. Abends gegen 20:00 war der Anker dann doch gesetzt und leicht schaukelnd konnten wir unsere Ankunft geniessen. Das Wasser um uns herum nun azurblau, die Aussicht neu und bestechend. Heute geht es los auf Inselentdeckung, die nächsten Tage werden wir hier, nahe des kleinen Hauptortes Vila Baleira verbringen. Ob ich die Frage nach meiner Reiselust noch immer so wie in der ersten Nacht der Überfahrt beantworten würde? - Mitnichten. Auf geht's zur Entdeckungstour! (S.)